Kirschen pflücken

Von einem auf den anderen Moment sind wir auf einmal in dem kleinen Ort Roxburgh. Die Landschaft ist sehr trocken und karg, nur ein recht reißender Fluss schlängelt sich durch die hügelige Landschaft. Gestern noch an dem wunderschönen See von Wanaka mit der Aussicht auf die Alpen, heute mit der Aussicht auf schweißtreibende Farmarbeit.

Innerhalb von 15 Minuten sind wir eingestellt und haben unser Camp auf der Farm Eigenen Campsite bezogen. Um kurz nach 5 klingelt der Wecker um unseren ersten Arbeitstag anzutreten. Das sorgt schon für die erste Delle in der Motivation bei uns.

Nach einer kurzen Einführung geht es raus in die Plantage.

Wir ziehen einen Harnisch an, in dem man einen Eimer, in dem ungefähr 5 kg Kirschen passen, reinsetzen kann, der dann im Optimalfall dann vor der Brust sitzt. 

Dazu bekommt jeder eine Leiter, um auch die Baumkrone erreichen zu können.

Wir rechnen uns aus, dass, wenn man über den Mindestlohn kommen möchte, mehr als 25 Eimer im Schnitt pro Tag sammeln müsste.

Die Kirschen sind in unserem ersten Block in einem grauenhaften Zustand, ca. 80-90 % der Kirschen können nicht verwendet werden und landen auf dem Boden. Dazu müssen wir uns auch erstmal mit unserer Leiter anfreunden. Am Ende des Tages sind wir alle total geschafft und haben nicht mehr als 5 Eimer geschafft - ziemlich deprimierend!

An unserem zweiten Tag, wären Paul und ich eigentlich auf einer großen Wanderung auf den Royce Peak, stattdessen sehen wir traurige Kirschen und zudem fängt es auch noch an zu regnen und es wird bitterkalt.

Wir schauen uns an und fragen uns, wie wir auch nur eine Woche hier überstehen sollen.

Es wird schon begonnen, Alternativpläne zu schmieden und überlegt, wo man denn sonst arbeiten könnte - vielleicht doch lieber zurück in die Gastro?

Niemand von uns kann sich vorstellen, auch nur ansatzweise die 3 Wochen, die wir uns vorgenommen haben, hier durchzuziehen.

Wir setzen uns als Ziel eine Woche durchzuhalten und dann die finale Entscheidung zu treffen, ob wir bleiben oder weiterziehen.

Nach den ersten 3, 4 Tagen ist der erste Block fertig gepflückt und es geht in einen vom Regen geschützten Block. Hier sind die Kirschen wie aus dem Bilderbuch und die Bäume sind so voll, dass die Äste teils das eigene Gewicht der Kirschen kaum tragen können.

Ich habe noch nie solche perfekten und vollen Kirschbäume gesehen - Zucht im industriellen Rahmen. Es fängt tatsächlich sogar an, in gewisser Weise “Spaß” zu machen und wir schaffen auch mehr und mehr Eimer von Tag zu Tag.

Zudem lernen wir so langsam auch die anderen Arbeiter kennen. Die Meisten sind auch wie wir Traveller. Neben uns Deutschen machen Franzosen und Tschechen den Großteil aus.

Nach 4 Wochen im Auto mit Paul ist es schön, auch mal wieder Kontakt zu Anderen zu haben und auch mal wieder mehr Englisch zu sprechen.

Recht schnell werden wir zu einer Gemeinschaft und die Feierabende werden mit reichlich Bier zusammen genossen. Dazu finden wir einen wunderschön ruhigen Spot am Fluss, an dem wir uns von den anstrengenden Arbeitstagen erfrischen. 

Nach den ersten 7 Tagen, entscheiden wir uns dann doch, dem Ganzen noch eine Chance zu geben und zu versuchen, die 3 Wochen durchzuziehen.

Es ist ein schönes Gefühl, den Leuten, die man kennenlernt, nicht nach 2, 3 Tagen wieder Tschüss sagen zu müssen, sondern zu wissen, dass man ein bisschen Zeit hat, sich richtig kennenzulernen und etwas Zeit miteinander verbringen zu können.

Da die Küche unserer Campsite abends für gewöhnlich ziemlich überfüllt ist, führe ich das “Picknick am Fluss” ein. Wir kochen zusammen outdoor, es wird alles geteilt, Geschichten erzählt und mit Hilfe von Schüsseln, Töpfen und Flaschen bilden wir sogar einen improvisierten Trommelkreis. Wir fangen an, hier richtig Spaß zu haben und können uns gar nicht mehr vorstellen, wie schlimm es sich an den ersten Tagen für uns angefühlt hat.

Paul und Markus sind mittlerweile richtig gut und versuchen den Mindestlohn zu überbieten.

Ich hatte teilweise immer noch etwas Probleme mit meiner Leiter und merke, dass es mir den Aufwand und die Energie nicht wert ist und ich lieber in meinem Tempo sammle, da ich trotzdem auf genug Stunden komme, dass auch mit Mindestlohn genug zusammenkommt.

Nach 10 Tagen mit ca. 10h pro Tag brauchen Paul und ich eine Pause, wir fahren in ein nahegelegenes Naturschutzgebiet, um etwas die Umgebung zu erkunden. Wie gewöhnlich entwickelt sich unser kleiner Spaziergang zu einer mehrstündigen Wanderung. In den Hügeln Alexandras, erreicht auf einmal ein wohlbekannter Duft unsere Nase.

Wir bemerken, dass wir gerade durch Felder voll von wildem Thymian wandern - Hammer!

(falls man Thymian mag). Die Gegend ist zwar karg, hat aber was für sich.

Nach weiteren schweißtreibenden Tagen in der Farm, es ist mittlerweile Hochsommer und oftmals um die 30° warm, ist es für mich mal wieder Zeit für einen freien Tag.

Das ist auch sehr angenehm an der Farmarbeit, du bist komplett frei in deiner Planung.

Wenn du frei haben möchtest oder früher Feierabend, kommst du einfach nicht oder gehst früher. Zurück in Deutschland wäre ich meinen Job nach so einer Aktion los.

Ich möchte weiter die Gegend erkunden und suche mir auf Maps einen Lookout raus, wo ich etwas laufen möchte.

Am Fuße des Berges ist ein Tor, nachdem die Straße zu einer Gravel Road wird. 

Schilder sind angebracht, dass das Gelände Staatseigentum ist, da hier Goldvorkommen zu finden sind. Ein Local sagt mir, dass ich aber ohne Probleme weiterfahren kann, wenn ich nur etwas laufen möchte und gibt mir den Hinweis, dass die Straße wahrscheinlich etwas ausgewaschen sei, ich aber keine Probleme haben sollte.

Auf dem Weg nach oben wird die Straße immer steiler und auf einmal ist sie so ausgewaschen, dass ich gerade so 2 Spuren, breit wie meine Reifen, habe. Die teilweise bis zu 50 cm höher als der Rest des Weges sind. Ich bin aber schon am Point of No Return angelangt und will es jetzt auch wissen, ob ich und mein Auto das schaffen.

Teilweise im 45° Winkel geht es dem Gipfel entgegen und tatsächlich schaffen wir die Erklimmung. Das Auto und ich lassen uns von nichts und niemandem mehr aufhalten! 

Oben angekommen weist ein Schild darauf hin, dass man einen Allradantrieb haben sollte und die Straße teils in schlechtem Zustand ist. So ein Schild hätte bissel weiter unten schon auch durchaus Sinn gemacht… Hier in Neuseeland werden selbst kleine Spaziergänge oder Ausfahrten zu Abenteuern.

Auf der Hochebene sind große Felsen verteilt, die durch die Erosion ein bisschen an die Skulpturen der Osterinsel erinnern. Es macht den Eindruck, als ob die Steinskulpturen das Panorama geniessen.

Ende des Monats hat Paul Geburtstag und wie der Zufall es so will, spielen die Red Hot Chilli Peppers an diesem Tag, in dem nicht allzu weit entfernten Dunedin, ein Konzert.

Der Fall ist klar, die Tickets werden gekauft. Paul organisiert für den Vorabend ein Apartment für alle, die mitkommen, um gebührend in den Geburtstag reinzufeiern und ich organisiere eine Abschiedsparty am Fluss, um uns gebührend von der Kirschfarm zu verabschieden. Die Vorfreude steigt und steigt und auf einmal schlägt das Schicksal zu. Bei einer lockeren Feierabend Kickrunde, knickt Paul um und zieht sich einen Bänderriss am Knöchel zu.

So schnell kann es gehen - armer Paul.

Doch unser starker Paul lässt sich davon nicht unterkriegen und es geht mit dicker Bandage auf die Abschlussparty. Wir machen ein riesiges Lagerfeuer an unserem Fluss und feiern mit fast der ganzen Campsite die letzten 3 Wochen. Hier sind echte Freundschaften entstanden und es tut tatsächlich etwas weh zu wissen, dass die Zeit nun vorbei zu sein scheint.

Niemals hätten wir gedacht, dass wir so an diesem Ort hängen werden.

Paul wünscht sich die etwas exotische Kombination von Kartoffelgratin und Burger zum Geburtstag. Markus und ich lassen uns natürlich nicht lumpen und stehen verkatert mehr als 3h in der Küche, um mit einer Pfanne und einem Ofenblech für 15 Leute zu kochen.

Das Ergebnis kann sich aber auf jeden Fall sehen lassen!

Die Party ist mega und Paul hat eine Geburtstagsparty mit der eingeschworenen Truppe, an die er sich bestimmt noch lange erinnern wird können.

Und am dritten Tag wird das Ganze dann noch mit dem Konzert von Post Melone und den Peppers garniert, was für 3 Tage!

So ganz billig ist das Ganze natürlich nicht und Markus fängt als erstes an zu grübeln, ob er nicht doch die Saison auf der Farm fertig macht. Paul schließt sich dem Gedanken recht schnell an, da es für ihn eh besser ist, mit seinem Fuß an einem Ort zu sein, an dem für alles gesorgt ist. 

Am Ende des Tages schliesse ich mich tatsächlich dem Rest der Gruppe an und fahre zurück auf die Farm - Einer muss ja auf die Beiden aufpassen ;)

Wir machen die 4 Wochen voll und schaffen es tatsächlich, die Saison zusammen abzuschließen.

Gekrönt wird das Saisonfinale mit einer weiteren grandiosen River Party. Matej, Kris und Markus legen fest dass die Bedingung für die Party ein Mustache ist. So muss auch ich unter die Klinge und verdammt ich seh aus wie mein Vater... Das dauert bis das Alles nachgewachsen ist :D

Nun trennen sich aber leider auch unsere Wege. Markus - der sich, ausgenommen für Pauls Geburtstag und dem Konzert, keinen einzigen Tag in den vier Wochen frei genommen hatte - zieht es zurück nach Norden, nach Wanaka. Pauls Plan ist es, im Packhouse ein bisschen weiterzuarbeiten, bis es etwas besser um seinen Fuss steht und dann möchte er weiter nach Queenstown ziehen. Ich selbst ziehe mit unserer deutsch/französischen Reisegruppe, bestehend aus Luisa, Nathalie, Esther, Guillaume und Nathan, weiter in den Süden Dunedin.

Es fällt schwer, sich zu verabschieden, auch von meinen Freunden aus Lettland, Kristops und Lauma, den Kroaten Matej und Matea, Alain, Kai, Elena, Vincent und all den Anderen.

Wir sagen aber "See You", denn wir werden uns auf jeden Fall wieder begegnen, das ist sicher!

Zum Abschluss veranstaltet die Campsite noch ein  internationales Essen, für das Jeder ein Gericht aus seinem Heimatland kochen soll.

Wir steuern den Kartoffelsalat bei und es wird ein grandioses Dinner - Yummy!

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